Das sind Vorschläge für online-Musizieren. Situation: jede vor ihrer Kamera in einem anderen Zuhause. Verbunden über Zoom, Jitsi usw. (Technische Details erläutere ich hier nicht).
Utensilien 1 (Reinhard Gagel)
Hol dir aus deinem Zimmer in deiner Wohnung einen Gegenstand der klingt. Zeige ihn, bespiele ihn. Mache
- daraus ein Solo du kannst deine Stimme verwenden Texte erfinden was dir grade einfällt
- Einen Dialog: suche dir jemanden aus mit dem spielen willst.
- Eine Art Rundspiel: am Ende deines Spielens sag wer als Nächster es fortsetzen soll.
- Steigere die Intensität, in denen du dir Szenarien vorstellst:
- z.B. im anderen Zimmer der Wohnung ist jemand der was du spielst nicht hören soll . oder: Außerhalb der Wohnung geschieht etwas, reagiere darauf mit deiner Musik.
Wünsche (RG)
Wünsch dir von den anderen, was du gerne hören möchtest, nur für dich. Die anderen sollen für dich spielen. Macht dieses Wunsch Spiel reihum.
Utensilien 2 (RG)
Spiele auf deinem Instrument, mit einem Gegenstand im Raum, mit Besteck oder Stiften. Mache einen Rhythmus, lade andere ein mitzumachen.
Erzählen (RG)
Erzähle etwas, was dir im Moment wichtig ist, was mit der Situation, in der Wohnung einge- schlossen zu sein, zu tun hat. Erzähle es und lass die anderen musikalisch agieren. Die anderen wählen eine Strategie, mit der sie das ganze Erzählgeschehen begleiten. Diese Strategie soll nicht verlassen werden, sondern immer modifiziert werden. Beispiel:
B erzählt, was sie morgens auf dem Balkon sieht.
Ensemble. Verschiedene Rollenverteilungen: Jemand spielt bei jeden zweiten Wort einen Klang. Jemand übernimmt die Vögel. Jemand versucht die Stimmung ab zu spüren. Alle diese jemands sollen im Verlaufe der Erzählung Nicht von ihrer Strategie abweichen, sondern nur Modifikationen finden.
Songlines (RG)
Wir singen ein gemeinsames Lied, das wir vorher verabreden. Dieses Lied kann mitgesungen werden, es kann begleitet werden, es kann karikiert werden, und so weiter. Wichtig ist dass das Lied erkennbar bleibt und als Zentrum des Interesses dient.
Drinks (Christian Wolff, aus: Scratch Anthology)
Holt euch in verschiedene Gefäßen Getränke. Wenn du magst, trinke. Wenn du magst, mach Sounds. Die Behälter können jederzeit neu gefüllt werden.
(möglichst nah am Mikro!)
Bildmusik (RG)
- Zeigt ein Bild, das euch wichtig ist, und erläutert es auf eine Weise, die keine Worte hat.
- Zeigt alle ein Bild in die Kamera. Versucht, das Bild vor der Kamera zu fixieren. Dann spielt eine Gruppenimprovisation, die sich auf die Bilder bezieht.
- Gemeinsame Improvisation: Nehmt ein Bild auch als „Instrument“: zeigt das Bild, wenn es euch musikalisch sinnvoll erscheint. Setzt es als Kommentar, als Impuls ein.
- Erzählt das Bild mit Klängen, ohne dass es sichtbar ist
Timer (RG)
spielt nach einer Uhr. Wenn ihr einen Timer habt, stellt ihn auf „Repeat eine Minute“. Es sollen immer 40 Sekunden gespielt werden und zwanzig Sekunden Pause sein.
a)Beginnt gemeinsam, spielt 40 Sekunden Stücke und macht 20 Sekunden Pause.
b)Beginnt unterschiedlich: spielt ab eurem Einsatz aber den Verlauf exakt durch (40sek spiel/20pause). Regiert wenn andere spielen auf deren spiel oder nicht.
Anweisungen (RG)
sagt ein Wort, eine kurzen Satz, der eine Anweisung ist:
z.B. „stille“ oder „spielt euren höchsten Ton“ oder
„unterbrecht jemand anderen“ usw.
haltet die Anweisung ein oder nicht ein.
Wohnung (RG)
erläutert die Wohnung, in der ihr sitzt. Gebt eine Vorstellung, welche Zimmer, wie sie eingeteilt ist, wo euer Lieblingsplatz ist, welche Möbel usw.,
Teilt jeweils eine Spielerin ein, sie solle in deinem Wohnzimmer, in deinem Bad, in deinem Schlafzimmer sein.
dann spielt. Der dem die Wohnung gehört, hört zu.
fish talk (Howard Skempton: Scratch anthologie)
(ganz nah am micro)
atme sehr leise ein und aus
beim ausatmen, verursache kleine Störgeräusche und Brechungen
mit Lippen/Zunge
hart/weich …… lang/kurz
wenn angemessen: küsse
Lieblingsmusik (RG)
holt eure Lieblingsmusik (Platte, cd, stick)
wenn möglich, spielt sie ab
Das Stück besteht daraus, Songs gleichzeitig laufen zu lassen, aber Klang- oder Lautstärkemodifikationen vorzunehmen und Pausen zu machen und daraus eine interessante Polyphonie zu erstellen.
Ziel: Klangcollage
Buch (RG)
holt ein buch
schlagt die Seite
45 81 134 269 316
auf und lest
die jeweils 3 und 15te Zeile laut vor
organisiert, dass es klingt, dass man alles versteht, dass man reagiert usw.
alone for a second (RG)
alleine für einige Zeit (für sich) spielen
dann aufeinander bezogen:
lasst platz, wartet, versucht zu verstehen, übertönt usw.
zwischen beiden Einstellungen hin- und her wechseln (allein, mit den anderen usw.)
Support Piece (RG)
holt eine Gebrauchsanweisung
spielt beim lesen der Texte einige Klänge
lest auch laut einige besondere Begriffe
lest auch in anderen sprachen
gebt euch eine Rolle:
corona notwendigkeiten (RG)
Spielt Klänge, die zwei Meter voneinander klingen, stellt es euch (wenigstens) vor.
mit Mikrophon: Wascht euch die Hände. Immer wieder. Nehmt das Geräusch auf. haltet das mikro ganz nah dran…
(nicht für online)
Spielt nur zu zweit in großem abstand. A) Spielt und : schaut euch an, wendet euch ab, usw.
b) (bei Ensembles) was tut ihr, wenn ein anderes Paar in euer Sicherheitsabstand kommt?
Stille Post (Ulrike Schwarz u.a.)
Spielt solistisch und nehmt es auf. sendet das Band an den Nächsten. Der spielt eine weitere Spur auf und versendet dann an den nächsten. Regel: nur einmal dazu spielen, ohne vorher das Band gehört zu haben.
Spielt mit dem Band mit, ohne den Ton an zu haben, eine zweite Spur ein.
Spielt solistisch und nehmt euch auf. Versendet das Stück an einen, der die Teile auf mehrere Spuren zusammenfügt und so ein Ensemblestück kreiert.
Hausmusik (RG)
Spielt wo ihr gerade seid einige kurze Stücke (mit Uhr: 20/40/60sekunden), aber auch ohne Uhr. Nehmt das Stück auf. Versendet es an jemand per whatsapp.
Der oder die Empfänger sollen mit eigenem Spiel daran anschließen, dazu spielen, nur anhören, etwas damit machen, was ihm einfällt.
Setzt euch mit den Stücken der anderen mit Kopfhörer an verschieden Orte der Wohnung, des Zimmers, in verschiedenen Positionen usw.
Wiederholung mit Ergänzung aus gegebenem Anlass:
FAKE NEWS!?
Allüberall schießen die tollen Ideen ins Kraut, wie wir der pandemiepanischen Erlebnisarmut etwas Abwechslung abringen können – das ist verständlich. Mein persönliches Musizierbedürfnis – im Besonderen das der – ich sage mal: freien Ensembleimprovisation – ist ebenfalls unbefriedigt. Meine ästhetische und soziale Intuition sagt mir aber ganz deutlich, dass die Verlegung meines Spieltriebes ins Wunderland der digitalen Möglichkeiten ein schlichter und schlechter FAKE wäre: nicht nur würde ich mir selbst in die Tasche lügen, was das Wesentliche meines Bedürfnisses als Improvisierender – das Teilen, das Mitteilen, die Teilhabe an einem Echtzeit-Prozess mit unbedingt physischer Rückkopplung – betrifft, ich würde auch gegenüber anderen den Eindruck erwecken, es sei möglich, sich so über den Mangel daran hinwegzutäuschen. Das kann nur ins Auge gehen (vielleicht auch ins Ohr, wenn man es mit dem Hören auch nicht so genau nähme) und wird mit herber Enttäuschung enden – Ausnahmen wären bei denen zu erwarten, die sich ohnehin und immer schon gerne in Als-Ob-Gefilden bewegt haben (womöglich gar nicht zu wenige) – die würden es wahrscheinlich nicht merken.
Ich für meinen Teil ziehe es vor, meine (eigentlich nicht wirklich mehr gewordene) freie Zeit mit dem (kulturpolitischen) Engagement für eine baldige Beendigung des Pandemie-Vakuums und des social distancing zu verbringen (was eigentlich nur ein physical distancing sein sollte, droht durch solchen FAKE-Zeitvertreib die Einstimmung auf ein dauerhaftes social distancing zu werden – wer kann das ernsthaft wollen?).
Wichtiger denn je scheint mir, sich nicht abzulenken/ablenken zu lassen – und zwar von der Wahrnehmung der tiefgreifenden Veränderung, die gerade vor sich geht: eine Veränderung, die sich unserer Fähigkeit zu improvisieren bemächtigt, uns unseres bewussten Insistierens auf Selbstbestimmung beraubt, indem wir Konformität im Gewand der Kreativität einüben. Was Not tut, ist wach zu bleiben, uns bewusst und vielseitig zu orientieren, unsere Kritikfähigkeit zu schärfen, uns ernsthaft auszutauschen über die Wahrnehmung der Vorzeichen eines real bevorstehenden, berührungsfreien Lebens; es ist höchste Zeit, unser soziales Sensorium zu nutzen, um gemeinsam Strategien des Widerstands zu entwickeln – wer außer uns wäre denn näher dran, hier die richtigen Fragen zu stellen?