Silvia Sauer (voc, looper), Ulrike Schwarz (as,fl), Uli Schiffelholz (dr)
USU Sauer I Schwarz I Schiffelholz live beim HfMDK Jazzfest 2020
Als Referenz für die folgenden kontaktlos improvisierten Klangbeispiele möchte ich an dieser Stelle einen Live-Mitschnitt vorstellen. Er ist entstanden beim diesjährigen HfMDK Jazzfest an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main am 30.01.2020.
09.04.2020
Bei meiner ersten Solo-Aufnahme habe ich versucht, mögliche Reaktionen meiner Trio-Kolleg*innen innerlich mit zu hören. Aus Sorge, beim Alleine-Spielen kein Zeitgefühl für die vorab vereinbarte „Popsonglänge“ zu haben, habe ich mir auf dem Handy den Timer gestellt, sein Klingeln beendet meine erste Improvisation.
An zweiter Spielposition nach dem Schlagzeug war ich überrascht, wie organisch sich die Einsätze des Schlagzeugs anfühlten – stellenweise fast so, als hätte Uli auf mein Spiel reagiert. War das Zufall? Oder kenne ich Ulis Spiel schon so gut? Oder er meins – und er hat im Vorfeld Platz gelassen, meine Reaktionen gar ebenfalls innerlich vorausgehört? Oder ist es schlicht so, dass wir musikalische Bögen ähnlich empfinden?
Die Frage nach dem Unvorhersehbaren stellt sich ganz neu.
Möglicherweise ist unsere Improvisation deutlich weniger frei als angenommen.
Alleine spielen für den Moment?
Wie damit umgehen, dass man sich beim Spielen so alleine und auch alleingelassen fühlt? Vor allem bei der ersten Spur, die eine kontaktlose Improvisation eröffnet? Und wie damit umgehen, dass die produzierten Klänge nun nicht, wie bei live Improvisationen (nur) dem Moment gewidmet sind?
Jederzeit kann man sich einen Moment in der Aufnahme wieder herholen – und alle anderen können das auch. Was macht das mit dem Gefühl innerer Freiheit, mit dem Vertrauen, im Augenblick getragen und frei zu sein, ganz gebunden an die Gegenwart?
Zu dem, was ich heute in meinen Rechner einspiele, werden meine Mitmusiker*innen womöglich erst morgen spielen. Oder gar nicht – falls ich die Aufnahme verwerfe. Ist das dann noch Improvisation? Noch frei?
Ich nehme sieben Takes auf und suche mir einen aus? Ist das meine Offenheit gegenüber dem jederzeit möglichen Scheitern? (Anmerkung vom 19.4.20: Mittlerweile haben wir im Gespräch geklärt, dass immer der erste Take gilt – siehe Regeln)
Das ist das Schöne an live vollzogener Improvisation mit anderen: Alle teilen die gleichen Bedingungen: Hau raus und schick die Musik in die Welt, gib die Verantwortung für die verantwortungsvoll produzierten Klänge ab, sobald sie Dein Instrument, Deinen Körper verlassen haben.
Ostersonntag, 12.4.2020
Letzte Aufnahme zur ersten Runde.
Ein Glück, dass ich die Flöte gewählt habe, damit kann ich soundmäßig wunderbar einsteigen in das, was schon da ist.
Es ist verflixt viel Zeit am Computer – und wenig Zeit am Instrument bei dieser Art „gemeinsam“ zu improvisieren….
Erste Runde fertig.
Tja. Und nun? Bin gespannt auf den Austausch mit den beiden Mitmusiker*innen. Kein Gesichtsausdruck, kein spontaner Seufzer, kein Lachen, kein Aufatmen, kein viel- oder nichtssagender Blickwechsel. Ist das wichtig? Wie es den anderen geht, unmittelbar nach Vollendung des Stücks? Wann genau ist denn dieser Moment jetzt eigentlich? Wenn die letzte Spur eingespielt ist? Jetzt im Moment für das letzte Stück? Die beiden anderen wissen noch nicht einmal, dass ich in diesem Moment die letzte Spur eingespielt habe. Vielleicht essen sie gerade die am Morgen gefundenen Ostereier oder gehen spazieren.
Wie läuft jetzt die Aushandlung unserer Stellungnahme zum eben entstandenen Stück? Wird bei gemeinsamer Anwesenheit überhaupt eine Stellungnahme ausgehandelt? In gewisser Weise doch schon, oder!?
Die Orientierung an den Reaktionen der anderen, der blitzschnelle Abgleich mit der eigenen Wahrnehmung. Was war das eben?
Ja, ja, schon klar, es geht ja nicht um richtig und falsch. Geht es auch nicht um gut und schlecht? Wir stehen ja alle drüber, wie die anderen das eben fanden. Beurteilen – geht ja gar nicht. Musik im bewertungsfreien Raum. … vermutlich ohnehin eine Illusion.
Ich jedenfalls bin sehr gespannt darauf, von den anderen zu hören, ob sie diese Art des „gemeinsamen“ Improvisierens als Arbeitsweise genießen konnten, ob sie auf musikalischer Ebene etwas für sich herausziehen konnten, ob ihnen das Ergebnis zusagt.
FAKE NEWS!? (Achtung: Polemik)
Allüberall schießen die tollen Ideen ins Kraut, wie wir der pandemiepanischen Erlebnisarmut etwas Abwechslung abringen können – das ist verständlich. Mein persönliches Musizierbedürfnis – im Besonderen das der – ich sage mal: freien Ensembleimprovisation – ist ebenfalls unbefriedigt. Meine ästhetische und soziale Intuition sagt mir aber ganz deutlich, dass die Verlegung meines Spieltriebes ins Wunderland der digitalen Möglichkeiten ein schlichter und schlechter FAKE wäre: nicht nur würde ich mir selbst in die Tasche lügen, was das Wesentliche meines Bedürfnisses als Improvisierender – das Teilen, das Mitteilen, die Teilhabe an einem Echtzeit-Prozess mit unbedingt physischer Rückkopplung – betrifft, ich würde auch gegenüber anderen den Eindruck erwecken, es sei möglich, sich so über den Mangel daran hinwegzutäuschen. Das kann nur ins Auge gehen (vielleicht auch ins Ohr, wenn man es mit dem Hören auch nicht so genau nähme) und wird mit herber Enttäuschung enden – Ausnahmen wären bei denen zu erwarten, die sich ohnehin und immer schon gerne in Als-Ob-Gefilden bewegt haben (womöglich gar nicht zu wenige) – die würden es wahrscheinlich nicht merken.
Ich für meinen Teil ziehe es vor, meine (eigentlich nicht wirklich mehr gewordene) freie Zeit mit dem (kulturpolitischen) Engagement für eine baldige Beendigung des Pandemie-Vakuums und des social distancing zu verbringen (was eigentlich nur ein physical distancing sein sollte, droht durch solchen FAKE-Zeitvertreib die Einstimmung auf ein dauerhaftes social distancing zu werden – wer kann das ernsthaft wollen?)
Vielen Dank, lieber Wolfgang, für Deine Gedanken zu diesem Blog.
Mein persönliches Bedürfnis beim Improvisieren mit Mitmusiker*innen lässt sich auf digitale Weise auch nur sehr rudimentär befriedigen – wenn überhaupt. Aber um meinen eigenen Bedürfnissen beim Improvisieren und den Besonderheiten gemeinsamer Improvisation weiter auf die Spur zu kommen, nutze ich die Gelegenheit, mich den aktuellen Einschränkungen zu stellen.
Indem ich unter veränderten Vorzeichen das weiter betreibe, was ich gerne tu und was mir wichtig ist, signalisiere ich nicht meine Bereitschaft, auf die vielgestaltige Interaktion mit Mitmusiker*innen, auf physische Nähe, auf die wechselseitigen Reaktionen mit dem Publikum, auf ein Lächeln, auf das Knistern im Raum und das gemeinsame Bier (oder den Ingwertee …) nach dem Spiel zu verzichten.
Meine Hoffnung dabei ist durchaus nicht, die digitalen Formate so zu perfektionieren, dass sie an die Stelle live gemeinsam improvisierter Musik treten können, sondern mich der ‚freien Ensembleimprovisation’ aus einer für mich völlig unvertrauten Perspektive neu zu nähern.
Die kontaktlosen Improvisationen, die im Kontext dieses Blogs entstehen, werden nicht kommentarlos und unhinterfragt in die Weiten des weltweiten Netzes gepustet, sie gaukeln nicht vor, sie könnten ein Live-Ereignis ersetzen und wollen nicht in erster Linie unterhalten. (Das merkt man auch daran, dass ich es bis jetzt noch nicht geschafft habe, tatsächlich Musik hochzuladen… das Schreiben steht aktuell noch sehr im Vordergrund.)
Ob die vielen unterschiedlichen neu entwickelten Formate im Internet dazu führen werden, dass die Dringlichkeit und Relevanz physisch realer Live-Erlebnisse kulturpolitisch weniger gut zu vermitteln und einzufordern sind, bleibt abzuwarten.
Unsere Aufgabe besteht auch genau darin, klar zu machen, dass es sich hierbei eben nicht um Formate handeln kann, die Live-Kultur ersetzen können, sondern um eine Art tiefergehende Erforschung unserer künstlerischen Arbeitsfelder. Und es gilt zu differenzieren: Digitale Formate sind noch lange nicht gleich digitale Formate.
In diesem Sinne: Lasst uns die aktuellen Einschränkungen nutzen für das Aufwerfen neuer Fragen und für eben den Diskurs, den wir hier im Moment führen.
[…] sein musikalisches Selbstverständnis und seine unmittelbare Art beim Spielen sehr. (Siehe auch Nicos Beitrag in diesem Blog.) Zum anderen hat die barocke mechanische Hagemann-Orgel (Baujahr 1777) in der […]